Kreisverkehr mit Blick auf Kirche, © Stefan Kattari
Luftbild Grassau Zentrum, © Hans Vodermeier, Publicdesign

Chronik Grassau

Hartnäckig hält sich in der Literatur die Ableitung des Ortsnamens Grassau von der „grasigen“, manchmal „großen“ Aue im Tal der Tiroler Achen. Flurnamenforscher haben aber längst nachgewiesen, dass Grassau auf das Mittelhochdeutsche graz zurückgeht, das wiederum eine Bezeichnung für Fichten- oder Tannensprossen an den Astenden war. Graz war früher als Viehfutter und Einstreu begehrt. Owe wiederum weist auf eine lichte Auenlandschaft entlang der Tiroler Achen hin.

In der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts erfolgte die Landnahme des Achentals durch bajuwarische Siedler. Es gibt zwar reiche Bodenfunde, die in die frühe Bronzezeit vor über viertausend Jahren zurückreichen, diese können aber keine Siedlungstätigkeit belegen, sondern allenfalls nachweisen, dass das Tal der Tiroler Achen ein bedeutendes Durchgangstal für Reisende und Warentransporte war. Mit der Besiedelung durch die Bajuwaren entstanden die späteren Grassauer Ortsteile Grafing, Hindling und Reifing, wahrscheinlich auch Mietenkam. Der ursprünglich auf das gesamte Tal bezogene Name Grazzowe wurde schließlich auf das in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts gegründete Kirchdorf übertragen.

Erstmals urkundlich bezeugt ist Grassau erst 1130 im Rahmen einer Grundstücks- schenkung des Salzburger Erzbischofs an das Kloster Herrenehiemsee. Die Behauptung, Grassau sei bereits in einem Salzburger Urkundenbuch um 928 erwähnt, beruht auf einer Fehlinterpretation der Quelle. Die in den 1930-er Jahren mit viel Pomp durchgeführte Jahrtausendfeier Grassaus war also um zweihundert Jahre verfrüht.

Ab dem 11. Jahrhundert wurde das „Grassauer Tal“ von den Grafen zu Hohenstein und Marquartstein beherrscht, im 12. Jahrhundert gelangte es in den Besitz der Ortenburger Grafen und wurde schließlich 1259 an den bayerischen Herzog verkauft.

In weltlicher Hinsicht gehörte Grassau von 1280 bis 1799 zum Marquartsteiner Pfleggericht. In dieser Zeit entwickelte es sich als „Amt Grassau“ mit eigenem Gerichtsplatz am Grassauer Kirchplatz und Galgen auf dem Kuchelner Berg auch zu einem politischen Mittelpunkt im Achental.

Die Grassauer Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt stammt aus dem 12./13. Jahrhundert, muss aber einen Vorgängerbau besessen haben, da bereits um 1115 ein Grassauer Pfarrer namens Chouno bezeugt ist. Die auffallende Größe der Kirche und das Marienpatrozinium - von allen Marienpatrozinien gilt das Himmelfahrtspatrozinium als das älteste - entsprechen ihrer Bedeutung als Mutterpfarrei für das ganze Achental.

Die Behauptung, die Pfarrei Grassau habe seit ihrer Gründung zur Salzburger Kirchenorganisation gehört, ist nachweislich falsch. Vielmehr handelt es sich bei allen alten Achentaler Kirchen um sog. „Eigenkirchen“, die von weltlichen Machthabern gegründet und unterhalten wurden. Der Salzburger Einflussbereich reichte zunächst nur bis zur Tiroler Achen. Wahrscheinlich wurde die Grassauer Kirche erst mit der Gründung des Diakonats Chiemsee (um 1115) in die Salzburger Kirchenorganisation integriert.

Vermutet wird, dass Grassau bereits im 15. Jahrhundert ein eigenes Marktrecht besessen hat. Aus wissenschaftlicher Sieht muss konstatiert werden, dass es sowohl Belege hierfür als auch Belege dagegen gibt. Einen echten Beweis gibt es leider nicht. Einen großen Aufschwung scheint der Ort jedoch ab dem 17./18. Jahrhundert genommen zu haben, als es zum zentralen Sitz mehrerer Handwerkszünfte für das Achental aufstieg.

Grassau war im Laufe der Jahrhunderte Marquartsteiner Pflegherrschaft nur am Rande durch die großen kriegerischen Auseinandersetzungen in Mitteleuropa betroffen. Im 30-jährigen Krieg wurde das Achental gänzlich verschont, im pfälzisch-bayerischen Erbfolgekrieg jedoch wurde in Rottau durch die Truppen Kaiser Maximilians gebrandschatzt und die Marquartsteiner Burg kurzzeitig besetzt, im Spanischen und Österreichischen Erbfolgekrieg wiederum verwüsteten Österreicher, Panduren und Kroaten das Achental.

Das Pfleggericht Marquartstein wurde 1799 aufgelöst und 1803 mit dem Traunsteiner Landgericht fusioniert. Zunächst aus steuerpolitischen, später aus verwaltungstechnischen Gründen ging man nunmehr daran, die kleinteiligen, aus Dörfern, Weilern und Einöden bestehenden Siedlungseinheiten zu sogenannten Steuerdistrikten, 1818 dann zu politischen Gemeinden zusammenzuschließen. Der Steuerdistrikt Grassau umfasste drei ehemalige Dörfer (Grassau, Mietenkam und Piesenhausen), 13 Weiler und 12 Einöden.

1938 verlor Grassau den Ortsteil Loitshausen an die neugegründete Gemeinde Marquartstein, die schon seit den 90-er Jahren des 19. Jahrhunderts um ihre Selbständigkeit gekämpft hatte, aber erst durch obrigkeitliche Verfügung zu ihrem Ziel gelangte.

Weitere Gebietsverluste musste Grassau im Zuge der Gebietsreformen, die in Bayern in den 60-er und 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts durchgeführt wurden, hinnehmen, als es 1962 seine Ortsteile Niedernfels, Pettendorf und Piesenhausen an Marquartstein verlor. Dafür konnte es 1972 Rottau hinzugewinnen.

Im 19. und 20. Jahrhundert nahmen Handwerk und Gewerbe erheblich zu, bis schließlich nach dem 2. Weltkrieg mit der Firma Körting-Radiowerke auch die industrielle Fertigung mit bis zu 2000 Arbeitsplätzen in Grassau Einzug hielt. 1978 musste Körting Konkurs anmelden, und auch die Nachfolgefirma Gorenje gab 1983 auf - ein herber wirtschaftlicher Rückschlag für Grassau. Heute existieren im „Gewerbepark“ (ehemals Körting-Gelände) mehrere Betriebe, darunter als größte die Firma KATEK. Für die Zukunft; zeichnet sich nach dem Kauf des Geländes durch einen Investor im Jahr 2016 eine grundlegende Umgestaltung durch den Neubau von Gewerbe- und Wohngebäuden ab.